Zu Punkt 1
Damit wir singen können, muss unser Körper eine große Anzahl Muskeln in Bewegung setzen. Für den Singenden (und den Unterrichtenden) ergeben sich daraus mehrere Aufgabestellungen:
- Differenzierung der Muskeltätigkeit, das heißt, ich muss lernen, nur die Muskeln zu betätigen, die auch fürs Singen gebraucht werden und die anderen locker zu lassen.
(Beispiel: Wenn ich mich beim Singen in Schultern und Nacken verkrampfe, wird diese unnötige Muskeltätigkeit den ganzen Singevorgang beeinträchtigen.)
Diese Differenzierungsarbeit reicht hinein bis in die kleinen Muskeln von Mund und Rachen; was muss ich beispielsweise tun, um einen Vokal a oder i zu bilden und was sollte ich lassen.
(Beispiel: Wenn ich einen Vokal i singe, muss ich den Mund- Rachenraum mit Hilfe von Muskeln so formen, dass aus dem Ton, den die Kehle erzeugt und der erst einmal ein neutraler Klang ohne Vokaleigenschaften ist, ein Vokal i wird. Dabei muss ich bestimmte Muskeln anspannen, andere locker lassen.)
Ein weitere Aspekt der Differenzierung ist das Maß an Spannung, das ich für eine Tätigkeit brauche.
(Beispiel: Wenn ich bei der Bildung eines Vokales i die ganze Zunge stark anspanne, wird sich diese Spannung auf die Umgebungsmuskulatur [Kehl-, Nacken-, Rachenmuskeln] übertragen und die Stimme wird gepresst und mühsam klingen).
Das heißt, ich muss nicht nur wahrnehmen lernen, welche Muskeln ich brauche, sondern auch mit welchem Maß an Spannung (zum Bilden des i brauche ich Spannung in der Zunge).
Die Förderung dieser Differenzierungsmöglichkeiten ist ein wichtiger Bestandteil meines Unterrichts und der Arbeit an der eigenen Stimme. - Körpertonus, das ist die potentielle Spannung der Muskulatur.
(Beispiel: Ist mein Muskeltonuns sehr niedrig, habe ich das Gefühl, jede Bewegung ist mühsam und anstrengend. Ist mein Tonus sehr hoch, stehe ich körperlich "unter Strom" und Bewegungen schießen leicht übers Ziel hinaus.)
Was wir brauchen, ist ein mittlerer Tonus, ein Zustand, in dem wir kraftvoll zupacken aber auch leicht wieder loslassen können. Dem Erreichen diesen mittleren Tonus widmen sich viele Körperarbeitssysteme. Es gibt sogar ein System, welches dieses Ziel zum Namen erklärt hat, nämlich die von Gerda Alexander entwickelte Eutonie (Eutonus = mittlerer Tonus).
In meinem Gesangunterricht versuche ich mit Hilfe von Körperübungen und Schulung der bewussten Körperwahrnehmung, meine Schüler dahin zu führen, dass sie sich beim Singen diesem mittleren Tonus weitestmöglich nähern (wenn wir in dieser Weise tonisiert sind, lösen sich viele Probleme beim Singen von alleine). - Die Atmung ist ein in den meisten Gesangunterrichten intensiv behandeltes Thema. Der Umgang damit ist sehr unterschiedlich. Ein beliebtes Schlagwort ist Atemstütze, ein Begriff, hinter dem sich in der Praxis oftmals den ganzen Rumpf verkrampfende Anspannungstechniken verbergen. Hierbei wird versucht, willkürlich einen Spannungszustand herzustellen, der sich bei einem optimal tonisierten, kraftvoll-lebendig Singenden von alleine einstellt. Dabei wird leicht übersehen, das die dafür nötige Lebendigkeit im Körper des Schülers vielleicht gar nicht vorhanden ist, was zu den oben genannten Verkrampfungen im ganzen Rumpf, besonders im Zwerchfellbereich führt. Dass derartige Praktiken der Klangbildung und dem Musizieren nicht besonders förderlich sind, müsste nachvollziehbar sein.
Ich gehe in meinem Unterricht andere Wege. Mein Weg ist der, dass ich versuche, durch Atemübungen, mit und ohne Stimme, die Atembewegung anzuregen; den Körper in den entsprechenden Regionen lebendiger zu machen. Bei einem lebendigen Körper entsteht dann die "Stützbewegung", das heißt, ein Offenbleiben der Atemräume, eine Einatmungstendenz in der Ausatmung des Singens, von alleine. - Die Körperhaltung steht in engem Zusammenhang mit dem Muskeltonuns
(Beispiel: Ein stark untertonisierter Körper wird keine kraftvolle, lockere Aufrichtung zustande bringen.)
Auch zwischen Aufrichtung und Atmung gibt es Verbindungen, denn Atmungs- und Haltungsmuskulatur sind eng miteinander verwoben.
(Beispiel: Eine verkrampfte Haltungsmuskulatur wird auch die Atembewegung spürbar behindern. Umgekehrt kann eine gut angeregte Atmung auch die Leichtigkeit der Aufrichtung fördern.
Mein Umgang mit dem Thema Körperhaltung beim Singen ist der, dass ich versuche, durch lockernde und anregende Übungen den Tonus, besonders der Rückenmuskulatur, zu verbessern und dadurch die Aufrichtung müheloser zu machen.